02-2014
Alice Henkes, Kunsthistorikerin

Malen mit Licht und Fotografie

Zu den Arbeiten von Katrin Wirz

Der hohe Ton. Das Licht ist die Basis, für alles Sehen, für die Kunst und vor allem für die Fotografie. Künstler sind seit jeher vom Licht begeistert, oft sogar berauscht. Van Gogh schwärmte vom Licht des Südens, vom "hohen Ton", den er mit Pinsel und Farbe erhaschen wollte. Katrin Wirz setzt Solarpapier als Lichtfänger ein. "Sun Painting - Sonnenmalerei" nennt sie ihre Arbeiten, für die sie UV-lichtempfindliche Papiere der Sonne aussetzt und so die pure Kraft des Lichts einfängt. In der Serie "Light Faces" legt sie vor der Belichtung transparente, plastische Masken auf das Solarpapier. So entstehen zauberhaft durchscheinende Porträts. Es sind Bilder, auf denen Licht und Gesicht sich schwerelos verbinden, und damit auch die beiden Themen, die Katrin Wirz beschäftigen: das Licht und das Sehen. Wohlverstanden: nicht nur das optische Sehen.

Sehen und Sein. Nicht allein das optische Sehen interessiert Katrin Wirz. Die Künstlerin, die neben Kunst auch Philosophie studiert hat, spürt in ihren Bildkompositionen der Frage nach, wie das Denken und die kulturelle Herkunft das Sehen beeinflussen. Wie ein Mensch ist, so sieht er, formulierte bereits der britische Künstler und Naturmystiker William Blake (1757-1827). Dieser Satz könnte als Motto über den grossen Bildserien stehen, die Katrin Wirz auf wiederholten Reisen nach Indien gemacht hat. Die Intensität des Lichts und der Farben locken sie seit über zehn Jahren immer wieder auf den Subkontinent. Leuchtende Gewänder, verschlungene Mandalas, Elefanten im engen Strassengwirr: An der Oberfläche erzählen die Bilder vom rauschhaften Glück einer Reisenden aus der Schweiz, die eine exotische Welt betritt. Doch Katrin Wirz Bilder gehen tiefer. Fotomalerei nennt sie ihre Technik, verschiedene Motive durch überlagerung und überblendung miteinander zu verschmelzen. Die kräftigen Töne eines indischen Tempelgewandes begegnen dem duftigen Weiss eines europäischen Hochzeitskleides. Festlichkeit kennt, je nach Kultur, verschiedene Farben. In die Deckenkuppel eines Luzerner Patrizierhauses, mit illusionistischer Malerei garniert, legt Wirz das Bild eines aus farbigem Sand gemalten Mandalas. Fremdes und Vertrautes, Ferne und Heimat verbinden sich zu eigentümlichen Doppelbildern, die davon erzählen, wie eng Sein und das Sehen miteinander verbunden sind. Wer auf Reisen geht, der nimmt nicht nur die Denkweisen der Heimat mit, der trägt auch zahllose Bilder in sich. Das Fremde, das Andere ist etwas, das man vergleichend erfährt, und das oft als Gegensatz zum Vertrauten erlebt wird. Katrin Wirz verbindet die Gegensätze. Gern auch mit Humor. Das grosse, graue Hinterteil eines Elefanten, der eine Touristin durch das indische Verkehrschaos navigiert, nutzt sie als Projektionsfläche für ein Foto vom Pilatus.

Die Welt im Kopf. Das Material für ihre Kunstwerke sammelt Katrin Wirz auf Reisen. Daheim am PC entstehen daraus Fotomalereien, durch die zuweilen ein sanfter Hauch von Zauberei weht. Menschen in farbigen Gewändern schweben in weiten Baumkronen. Finger und Flugzeugflügel verbinden sich zu Bildern, die über Abbilder des Wirklichen weit hinausgehen. Es sind Bilder jener Welt, die die Künstlerin in sich trägt. Das eigentliche Wahrnehmen und Erleben, so lehrt die Erkenntnistheorie, findet im Gehirn statt: Die Welt entsteht im Kopf!



AIR IN INDIA 2008/09

02-2009
Dorothe Freiburghaus, Kunsthistorikerin, Galeristin

Ein dunkelrosa Shirt, rosa Jäcklein, lila Hose, hellblaür Nietengürtel, über hellen Socken durchbrochene, beige Spitzenschuhe, hennafarbenes, nur halb gezähmtes Haar - farbig, hell, warmherzig, so tritt sie mir entgegen. Indien, das Land des Lichts und der Farbe hinterlässt Spuren, wird Teil des Lebens der Künstlerin.

Licht, Farbe und Musik haben Katrin Wirz hingezogen. Licht, Farbe, Raum und Texte sind ihr Thema. Auf unerwartete Weise verbindet die Künstlerin östliches und Westliches, Indisches und Europäisches. Zwei Serien Bilder mit sinnlichen Texten hat sie bereits zu Büchern gestaltet: Fire in India, 2003. Water in India, 2005. Die dritte Serie Air in India, 2008 kann jetzt im Kunstkeller Bern betrachtet werden, bevor auch davon das Buch fertig gestellt wird. Die vierte Serie wird vielleicht Bilder aus einem anderen asiatischen Land enthalten, vermutet die Künstlerin. Eingehend widmet sie sich den vier Elementen, Feuer, Wasser, Luft und Erde, die am Anfang jeder Kultur stehen. In deren Verschmelzung entwickelt sie eine neue, interkulturelle Sicht. Als fünfte unveränderliche Wesenheit sahen die Griechen zusätzlich den Äther als Quintessenz. Im Buddhismus ist das fünfte Element die Leere.

An den Wänden im Atelier der Künstlerin hängen einige der intensiv farbigen Fotoarbeiten, die wir in der letzten Ausstellung zum Thema fire in India im Kunstkeller Bern gesehen haben. Da sind die weiss, rosa und roten Teilröcke von nur erahnten Tänzerinnen, da sind die feinen Spuren vom Engel und das brennende Feuer im Schnee. Dazwischen hat Katrin Wirz eine ganze Serie neue, digital bearbeitete Fotografien aufgereiht. Am Boden unter dem Tisch liegen hellblau einige zusammengeschrumpfte Ballone, überreste einer luftigen Intervention, die sie gemacht hat. Daneben die Radio- und Stereoanlage und leuchtend der violett-gelb-weisse, künstliche Blumenzweig. Gegenüber das mit Fotos und Papieren überladene Arbeitspult, darüber eine kleine Wäscheleine, wo sie Anregungen und erste Ausdrucke in kleinen Formaten festklammert.

Konseqünt arbeitet Katrin Wirz weiter, hält mit der Kamera, ihrer ständigen Begleiterin, fest, was sie sieht, was sie bewegt, ob in Indien, Dubai oder der Schweiz. Die einzelnen Fotobilder setzt sie in Beziehung zu anderen, überlagert digital Aufnahmen, eingefangen aus dem Flugzeug, dem Auto oder zu Fuss. Sie durchmischt Kulturen und findet zu neuen rätselhaften, interkulturellen Bildern. Oft sucht sie lange in ihrem Fundus von tausenden thematisch, zeitlich und nach Interesse geordneten Fotos nach dem richtigen Gegenstück zu einer Aufnahme, das ihre Vorstellung trifft. Denn einmal berührt vom Gehalt und dem Potenzial einer Fotografie, sucht die Künstlerin zwar fast spielerisch aber unerbittlich nach deren überlagerung, Verdichtung und Verschmelzung. Vieles wird getestet und vieles auch wieder verworfen bis i h r Bild entsteht. Oft jedoch weiss sie schon bei der Aufnahme, was als Ergänzung dazu stimmen wird.

Für uns Betrachter sind die Bilder eine Augenweide, aber nicht immer einfach lesbar. Bekanntes wird mit Fremdem durchwoben. Rätselhaftes, Erstaunliches entsteht. Dazu kommt die künstlerische Bearbeitung, die das Bild erst zu einem Ganzen fügt. In der Glut eines Sonnenuntergangs - in Belp übrigens - wird ein Flugzeug im Gegenlicht zu einem silbern blitzenden Kreuz mitten in fliessendem Gold. - Beklemmend das strenge Geflecht eines eisernen Gitters, ausgespannt im Bildgeviert. Mitten drin die Formen durchbrechend das Gefieder aufstrebender Flügel. Aufbruch aus einer Engnis. - Die Form eines Gleitschirms spielt mit der Rundung einer Architektur, die ihrerseits mit den Strukturen einer Bergformation weit hinten erst die unermessliche Weite von Meer und Luftraum dazwischen erkennbar macht. - überraschend und feinfühlig fügt die Künstlerin das nach europäischem Mass nicht vorstellbare Gewirr elektrischer Kabelanlagen mit einem in Worten I love aufleuchtenden, westlichen Ventilator zusammen. Wo ich auch hinsehe begegne ich Licht, Luft und hellen Farben.

Die Herkunft der Bilder ist oft kaum mehr lesbar und erkennbar. Gegensätzliches, Andersartiges verschmilzt miteinander. Unerwartetes, Weiträumiges entsteht. Der Betrachter erhält einen grossen Freiraum, um seinen eigenen Empfindungen nachzugehen. Licht, Farbe und Raum sind sowohl das Thema. Sie verlangen nach Strukturen und Rhythmen, um sich zu materialisieren, um wahrgenommen zu werden: Bilder für Assoziationen werden geschaffen, die eine rein sachliche Darstellung weit übertreffen.



WATER IN INDIA 2005/06

Dezember 2005
Dorothe Freiburghaus, Kunsthistorikerin, Galeristin


Seit Katrin Wirz 15-jährig war, hat sie neben dem "Bilder-Malen" auch geschrieben. Intuitiv entstand und entsteht Poetisches, Gedankliches, entstehen Wort-Spielereien. Während der Arbeit mit den Bildern kommen sie ihr in den Sinn, und die Künstlerin notiert sie.
Ballonaktionen tragen ihre Texte in die Welt. 1998 next stopp im Kunstmuseum Thun, 2000 in der Kulturfabrik Burgdorf und 2002 im Mettlenpark in Muri während der Skulptur 02 des Verein Berner Galerien.
2003 ist ein erstes Buch Fire in India entstanden, in dem sie Bild und Wort einander gegenüber stellt. Kurze Texte stehen neben Bildern, in Bildern, wandeln sich zu Gedanken aus denen neue Bilder werden.
In der gegenwärtigen Ausstellung sind computerbearbeitete Fotos mit Texten zu sehen. Dabei ist manchmal nicht sicher, ob das Wort, oder das Bild zuerst war: "Und ich sah die Zeit nicht." "Da wo sich die Wirklichkeit im Text auflöst."

Sie erzählt von ihren Erlebnissen in Indien, von leuchtenden Farben, strahlenden Festen, geheimnisvollen Zeremonien, von Musik und Menschen, die Zeit haben. Sie hofft nach all ihren Aufenthalten in Indien sich auch hier auf Wesentliches konzentrieren zu können, und der hiesigen Hektik mit aussereuropäischer Ruhe zu begegnen.

Im ständigen Bestreben weiter zu greifen, Grenzen zu durchbrechen, medienübergreifend zu arbeiten, Fremdartiges miteinander zu verbinden, zu überlagern, anzunähern ist eine faszinierende Serie Bilder, Fotografien Europa Asien entstanden. Nicht nur Bild und Wort, Kunst und Schrift, auch verschiedene Kulturen greifen ineinander, überlagern sich transparent. Katrin Wirz sucht für Indisches und Europäisches einen gemeinsamen, neün Ausdruck.
Möglichkeiten werden ausgelotet. Sie reichen von einer pötischen Abstraktion über surreal Geheimnisvolles zu einer intensiven Realität und weisen auf den unendlichen Reichtum an Begegnungen und neuen Aspekten hin, die sich hier öffnen. Ein europäisches Hochzeitskleid findet in seiner computertechnisch generierten Transparenz mit einem indischen, steifen Unterrock zu einer überraschenden Poesie, die das Auge irritiert und fasziniert. Eiszapfen hangen an einer mit farbigen Papiervögeln geschmückten Kokospalme. Ein Fest der Farben und Formen!
Dazu treten auch Wort und Schrift im Bild. Eine fremdländische Schrift mit formalen und malerischen Qualitäten. Ohne deren realen Inhalt zu kennen, bezieht die Künstlerin sie als Element in ihre Bilderwelt mit ein.
In den Überlagerungen von Fotos durch Katrin Wirz entstehen neue Formen, Rhythmen, überraschende Farbklänge Leuchtendes, das aufhorchen lässt. Kulturen und Medien durchdringen sich als Ergänzung, Sehnsucht oder Notwendigkeit.